Mein erster Avatar wurde in Second Life am 25. September 2006 geboren, ich bin damit bald seit 4 1/2 Jahren in Second Life mehr oder weniger unterwegs, mal Zeit für eine kleine, persönliche Bilanz unter dem Gesichtspunkt „Boah, was ist SL heute doch nur scheiße.“ Diesen Dauernörglern kann ich nur sagen: „Früher war längst auch nicht alles gut, im Gegenteil.“

Als ich anfing gab es in SL noch Mentoren sowie nur englischsprachige Newbieinseln. Der große Hype um SL in Deutschland begann erst im Frühjahr 2007, dann aber heftig, mein Glück (oder Pech?) ist es gewesen, schon vorher geboren worden zu sein. Die ersten Stunden und Tage in SL waren planlos, orientierungslos, es war ein mühsames Rumquälen mit dem Viewer. Es gab nur bis dato den Viewer von Linden Lab und sonst gar keinen, also stellte sich die Frage nach Alternativen gar nicht. Damals war ich froh und dankbar um die Hilfe einer netten Avatarin, die einem erst mal so richtig zeigte, wie alles funktionierte (Skins, Primhaare, Inventar u.v.m.). Hätte es sie nicht gegeben, wäre ich vermutlich schon bald wieder weg gewesen, zu verwirrend war doch der Viewer und ich blickte nicht wirklich durch.

Interessant ist, dass man schon damals glaubte, dass die Wirtschaft (wenn man sie so nennen will) in Second Life garantiert den Bach runtergehen würde, weil es damals die wirklich erste Kontroverse um Copybot gab. Heutzutage ist man weiter, die Wirtschaft steht immer noch, Copybot ist längst Geschichte, dafür gibt es bösartige Viewer die viel mehr kopieren können, und die Shopbesitzer versuchen sich notdürftig irgendwie dagegen zu schützen, da sie sich von Linden Lab im Regen alleine gelassen fühlen. Stichwörter hier sind u.a. Gemini CDS und zF Redzone, beides inzwischen nicht mehr verfügbare Tools, aber sicherlich wird es demnächst irgendeinen Nachfolger davon geben, der Markt ist einfach da.

Der Copybot selber war übrigens ein Tool aus einer Programmbibliothek namens „libsecondlife“, in der Programmierer durch Netzwerksniffer versuchten, die damals noch nicht publizierten Protokolle von Second Life zu dokumentieren und nachzubauen. Libsecondlife war dabei in .NET programmiert, es wurde später die Basis für Opensimulator und hört heute auf den Namen libopenmetaverse.

Als ich anfing war man als Deutscher in SL noch wirklich ein Exot. Es war die Zeit, als gerade sehr viele Amis nach SL reinkamen, eine nicht gerade kleine Population der Amis in SL wechselte übrigens von „The Sims Online“ nach SL. „The Sims Online“ war, wie der Name schon sagt, die Sims – nur eben online, und SL bot da doch ungleich mehr Möglichkeiten.

Damals, also 2006, war gerade der Flexiprim hip und modern, Sculpties gab es noch gar nicht, und mancher Designer meinte, die Flexiprims würden ihnen nun schaden, bis sie es dann doch schafften, sie zu beherrschen. Das Grid funktionierte damals, trotz aller heutigen Unkenrufe, schlechter als heutzutage. Es gab noch keine Rolling Restarts, sondern wenn dann wurde jeden Mittwoch das Grid für mindestens 6 Stunden, aus denen auch schon einmal 12 werden konnten, runtergefahren und so auf den aktuellen Stand der Servertechnik gebracht. 2006 war auch das Jahr, in dem es in den USA den Anfang des SL-Hypes gab. Anshe Chung zierte das Titelblatt der Business-Week als erste „Millionärin“ in Second Life (gemeint war damit, das sie alleine Ländereien im Wert von mindestens einer Million US$ besass).

Vom Design und der Ästhetik war man 2006 auch längst nicht so weit wie heute, was kein Wunder ist, da man heutzutage Technologien an der Hand hat, die es damals noch nicht gab (Sculpties, Tattoolayer) und neue stehen uns bevor (Meshes).

Die erste Zäsur mit einem Paukenschlag war am 1. Januar 2007, dass Linden Lab den Sourcecode des Viewers veröffentlichte und unter die GPL stellte. Das sollte den Grundstein für viele Opensourceprojekte legen, allerdings verlief die Entwicklung anfangs doch sehr zäh. Erste Viewer, die dann wirklich kamen, waren Restrained Love, der Cool Viewer sowie die Nicholaz Beresford Edition. Erst später kamen Imprudence, dann noch Emerald, der den endgültigen Durchbruch für TPVs bedeutete und jetzt eben Phoenix.

2007 stand also Anfangs ganz unter der Zäsur durch Copybot. Land war damals noch richtig teuer, vor allem auf dem Mainland waren die Preise bei 12 L$ pro Quadratmeter in guten Lagen oder mehr gelegen, wegen eines Engpasses beim Serverlieferanten kam Linden Lab auch gar nicht damit nach, die Nachfrage zeitgerecht zu befriedigen und dementsprechend gab es eine gigantische Landblase. Bei den wöchentlichen Auktionen für das Mainland erreichte man durchaus Preise pro Region je nach Lage in Höhe von 1-4000 US$ alleine dafür, dass da wer die Region kaufte. Lindenland war damals noch mehr bah als heute, weil sich Linden Lab wirklich nun gar nicht darum kümmerte, wie es auf dem Mainland zuging. Es war wie der sprichwörtliche wilde Westen, und wenn der Nachbar sich eben mal einen 30m hohen Turm in Phallusart hinstellte, dann war das so und meistens konnte man nichts dagegen tun. Übrigens sahen damals viele Leute Land in Second Life ernsthaft als eine Wertanlage an, die im Wert nur steigen könnte – was für ein Blödsinn, es gab schon damals warnende Stimmen, dass man da nur unnötig Geld vernichtet, aber diese Leute wollten nicht hören. Wer sich die heutigen Landpreise ansieht, der kann angesichts der damaligen Höchststände nur weinen.

Das Mainland war übrigens auch zugepflastert mit rotierenden Werbeschildern jedweder Art, es kaufte sich einfach jemand 16 Quadratmeter Land und pflasterte darauf ein Prim von 20m Höhe oder mehr. Diese Werbenetzwerke sind heute – Linden Lab sei es gedankt – Geschichte, waren aber über lange Zeit eines der Hauptärgernisse auf dem Main Land gewesen, sie sahen einfach nur scheußlich aus und nervten tierisch. Schon alleine deshalb wollte keiner, der genügend Geld hatte, wirklich auf dem Mainland wohnen, sondern lieber auf private Regionen mit einer genau festgelegten Covenant ziehen.

2007 war auch das Jahr, in dem Second Life in den Himmel gehyped wurde, fast jede Firma die was auf sich hielt eröffnete eine Dependance in SL und sie kamen reichlich (EnBW, Mercedes Benz, Beate Uhse, BMW, die deutsche Post, Nokia usw.usf.). Die Mehrzahl dieser Firmen ist inzwischen längst wieder aus SL verschwunden, da für diese nicht die In World Präsenz an sich ausschlaggebend gewesen ist, sondern die positive Presseberichterstattung über das Engagement in SL billigste Werbung war, darauf und nichts anderes kam es ihnen in Wirklichkeit an.

2007 war auch das Jahr, in dem Linden Lab die Tier für private Regionen von 195 US$/Monat auf 295 US$/Monat erhöhte. Dieser Preis hat ja bis heute Gültigkeit, aber ich kenne viele Leute, die damals private Sims besassen und denen diese Erhöhung seinerzeit das Genick brach. Begründet wurde die Erhöhung u.a. mit der Einführung der damals neuen Serverklasse 5.

Bis zum 13. April 2007 gab es im Profil eines jeden Avatars noch ein Reputationssystem, nicht unähnlich von modernen Foren. Wenn man jemandem loben wollte, dann konnte man das in einer gewissen Kategorie machen (Daumen hoch also!) und das kostete 10 L$ je Bewertung. Anfangs gab es auch noch negative Bewertungen, aber da kam dann Linden Lab flott davon ab, bis man es ganz ersatzlos strich.

Das Grid jagte damals von Rekord zu Rekord, Linden Lab veröffentlichte damals auch noch stolz die Zahl der insgesamt existierenden Avatare, diese erreichte schwindelerregende Höhen und auch die Zahl der maximal gleichzeitig eingeloggten Avatare wurde größer und größer, sogar die 100.000 schien einige Zeit lang in greifbarer Nähe. Nur das Grid war damals auf diese Höhenflüge absolut nicht ausgelegt gewesen, es skalierte dementsprechend schlecht und das sorgte für stetig wachsenden Unmut. Heute ist es besser dafür geeignet, aber 100.000 gleichzeitig eingeloggte Avatare scheinen erst einmal in weiter Ferne.

2006 und 2007 machte man Geld auch entweder als Newbie durch Campen, Money Trees oder Casinos. Campen war gang und gäbe, 2007 kamen aber auch so langsam die Bots auf, um den Traffic zu schönen und die Campingplätze starben langsam aus.

Im Laufe des Jahres 2007 wurde der Unmut über Linden Lab und die Führung (Rosedale damals) immer heftiger und heftiger, es wurde aber auch ein neues Produkt ausgeliefert in Form der Openspaces Sim, heute als Lowprim-Sim oder Homesteadsim bekannt. Diese Sims waren damals allerdings noch billiger als heute (nämlich in etwa 295 US$/4, also 75 US$ pro Monat) und waren der Renner überhaupt. Linden Lab hatte einen ungewollten Bestseller geschaffen gehabt, sie sorgten sogar selber dafür, indem sie die anfängliche Primlimitierung zunächst auf 3750 Prims erhöhten und es konnten damals bis zu 40 Avatare gleichzeitig auf einer solchen Sim online sein. Als der Erfolg dann Linden Lab überrannte und sie angeblich mit diesen Sims keinen Gewinn machten, erhöhten sie die Landpreise für diese Sims kräftig und führten eine Avatarlimitierung von 20 ein. Das erfolgte 2008 unter dem damaligen, geschichtlich gesehen glücklosen Geschäftsführer Mark Kingdon und sorgte für heftigste Proteste. Diese Proteste sorgten dafür, dass man bei Linden Lab zumindest für ein Jahr (von 2008 bis 2009) für die bereits bestehenden Lowprimsims ein Grandfathering einführte, was danach nochmals bis 2010 verlängert wurde, die Avatarlimitierung aber behielt man bei.

2007 wurde auch der Betatest einer der am meisten überbewerteten Funktionen eingeführt, nämlich Windlight, das 2008 dann endgültig Standard wurde. Folgenreicher und bis heute fortbestehend ist gewesen, dass man 2007 mit dem Betatest von Voice (auf Basis von Systemen der Firma Vivox) begann und dieses Feature schließlich einführte. Es gab damals Diskussionen darüber, ob man für Voice als Nutzer zahlen solle oder nicht, schließlich kostet die Nutzung dieser externen Systeme Linden Lab gutes Geld, da es aber schon damals so etwas wie Skype gab wurde Linden Lab doch recht deutlich und klar, dass dafür niemand etwas zu zahlen bereit wäre. Also wird Voice in Second Life bis heute aus der normalen Tier finanziert.

2007 war auch das Jahr, in dem alle Casinos gebannt wurden und die Banken in SL geschlossen wurden. Manch einer prophezeite damals den Untergang von SL deswegen, tja wir sind bald vier Jahre weiter und warten weiterhin darauf.

2008 war das herausragende Ereignis, dass Rosedale dem ständig wachsenden Druck und Unmut über die schlechte Performance in Second Life nachgeben musste, er als Geschäftsführer zurücktrat und Mark Kingdon das Ruder übernahm. Unter Kingdons Zeit fällt das Openspaces-Sim-Desaster, mit dem Linden Lab als Betreiber sehr viel Vertrauen verspielt hat und bis heute bei den Oldtimern nicht mehr wirklich zurückgewinnen konnte. Unter Kingdon wurde die Firma zu stark falsch ausgerichtet, aber es gab auch umfangreiche Arbeien an der Infrastruktur, um die Qualität von Second Life und Verfügbarkeit zu verbessern, von denen man selber nicht wirklich viel mitbekam.

Wichtiger und entscheidender bis heute ist, dass 2008 die geformten Prims (Sculpted Prims oder Sculpties) eingeführt wurden, heute möchte sicher niemand mehr auf diese verzichten. Auch damals wie heute: manch einer prophezeite den Untergang der Wirtschaft deswegen bzw. dass nur noch Profis nun mithalten könnten. Man sieht: die Gegebenheiten ändern sich, die Argumente der Miesmacher sind dabei immer dieselben.

2009 führte man irgendwann die Altersverifizierung ein, um dem amerikanischen Jugendschutz besser zu genügen, eine Maßnahme die bis heute skeptisch betrachtet wird, aber notwendig gewesen ist.

Ansonsten lief das Grid mal mehr, mal weniger stabil, es wurde eine neue Implementierung von LSL auf Basis von Mono eingeführt, von der sich damals manche wahre Wunder an Leistung versprachen. Diese Hoffnungen wurden nur teilweise erfüllt, da die Ansprüche jedes einzelnen Avatars an Skripte in einem wohl ungeahnten Masse anstiegen.

Auch wurde aus XstreetSL (vorher Second Life Xchange) sowie der damaligen Konkurrenz OnRez ein wahrer Renner, immer mehr und mehr Leute begannen, dort ihre Sachen einzustellen. 2009 wurden dann beide von Linden Lab gekauft, OnRez wurde gleich eingestampft und aus XstreetSL machte man 2010 dann den neuen Marketplace, der aber längst nicht alle Funktionen wie XstreetSL bietet.

Unter Kingdon jedenfalls schien Linden Lab träge zu werden, langsam, die wirklich neuen Features wurden weniger, während die Konkurrenz nicht zu schliefen schien. Naja. 2009 wurden die ersten Previews vom Viewer 2.0 gezeigt, dem damaligen Hoffnungsträger Nummer 1, der 2010 eingeführt werden sollte. Damals schauten alle voller Hoffnung auf dieses Wunderteil und als man die Version 2.0 dann 2010 veröffentlichte wurde daraus der Ford Edsel von Linden Lab – alles drin, was gut ist unter der Haube, aber schräg anzusehen und völlig an den Bedürfnissen der Benutzer vorbei gebaut. Dies war auch der Grund, warum bis heute die Mehrheit ihn nicht wirklich nutzen mag und Linden Lab das Benutzerinterface besser gleich ganz einstampfen sollte, um sich an Viewer 3 zu machen, aber dann diesmal bitte unter besserer Beachtung der Wünsche der Community.

Anfang 2010 begann Linden Lab unter Kingdon massiv Mitarbeiter zu entlassen, der neue Heilsträger war der alte – Rosedale kam zurück. Second Life lief damals wirklich nicht viel besser als 2006, eher fast noch schlechter, und Rosedale gab als Motto „Fast, Easy and Fun“ aus. Diverse Projekte, an denen man arbeitete wie C# als Skriptsprache, wurden erstmal ganz eingestampft oder offiziell nur eingestellt und man begann einige, radikale Änderungen. Im Laufe dieser Änderungen begann sich das Dickschiff Linden Lab tatsächlich zu bewegen, SL wurde von der Servicequalität wieder erträglicher, neue Viewerversionen wurden seitdem in bis dahin ungeahnter Geschwindigkeit rausgehaut – aber das war es dann auch gewesen. Nicht wirklich schlecht aber daran war, dass man sich erstmal wirklich darum kümmerte, die Qualität der Grundlagen zu verbessern, bevor man sich an neue Features machte. Meshes sind eine Sache, die seit 2010 in der offenen Beta sind und sicher bald irgendwann kommen werden, es wird mindestens den gleichen Impakt auf SL haben wie seinerzeit die Sculpties. Die Diskussionen um Meshes sind jedenfalls auch gleich.

Inzwischen ist Rod Humble (Rodvik Linden) der neue Geschäftsführer von Second Life, er ging seinen Anfang besser an als M Linden, und es gibt verhaltenen Optimismus. Wohin er das Schiff Second Life steuern wird bleibt abzuwarten, spannend geblieben ist das große Experiment allemal.

2 Gedanke zu “Viereinhalb Jahre in SL”
  1. Immer wieder interessant zu lesen, was Du so über „Normal-SL“ schreibst. Als ausschließlicher Nutzer der Nischen-Subkultur Gor-RP lebt man doch auf einer anderen Insel und ist überrascht, was es noch da draußen und hinter den Kulissen gibt.

    1. Naja, du bist ja fast so alt – nur hast du längst nicht alles wohl aktiv mitgemacht. SL selber ist ja reich da an Geschichten und Geschichtchen…

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