„Der digitale Maskenball“, so hieß einmal im Jahr 2007 das Titelthema der Druckausgabe vom Spiegel, die sich dem Hype Second Life in allen Möglichkeiten und Facetten, die es damals gegeben hat widmete. Das ist nun fünf Jahre her, der Hype vorbei und Second Life existiert allen Unkenrufen zum Trotz bis heute.

Aber trifft es zu, dass Second Life eigentlich ein digitaler Maskenball ist? Ja und nein zugleich. Wenn man sich die Avatare betrachtet, dann ist es so, dass diese erst einmal den technischen Beschränkungen der Plattform unterliegen. Aber wie man die Avatare innerhalb dieser Beschräkungen gestaltet, das bleibt jedem selbst überlassen. Das Ergebnis ist dann ja meistens, dass die Mehrheit versucht eine Art idealisiertes Spiegelbild seiner Selbst zu bauen, seiner eigenen Wünsche, Bedürfnisse, Begierden. Genau so sehen viele Avatare denn auch eben aus. Der normale Avatar wirkt maximal wie Anfang 30, älter aussehende Avatare gibt es in Second Life zwar auch, aber letztendlich haben diese Seltenheitswert. Nein, man möchte ewig schön, jung, attraktiv und damit viele auch begehrenswert sein und genauso sehen die Avatare nun einmal aus.

Es gibt auch eine kleine Fraktion von Avataren, bei denen die Erbauer tatsächlich versucht haben, sie ihrem reellen Abbild möglichst ähnlich zu gestalten. Darunter gibt es beispielsweise Querschnittsgelähmte, die auch in Second Life mit einem Rollstuhl unterwegs sind, ganz einfach weil sie sagen sie haben nichts zu verbergen und das sei nun einmal ein Teil von ihnen. Wieso auch nicht, es ist ein Akt der Offenheit, den viele zuerst einmal eben nicht leisten.

Viele basteln sich eine Maske, das idealisierte Selbst und versuchen sich anders zu verhalten und zu geben als sie im wirklichen Leben sind. Aber das geht meistens nur bis zu einem gewissen Grade gut, denn letzten Endes bricht sich der normale Charakter eines Menschens hinter dem Rechner doch wieder früher oder später dann mit Macht Bahn.

Dazu kommt, dass man gerade hinter seiner Maske sich vermeintlich sicher fühlt, denn man sieht ja prima aus, es kennt keiner einen wirklich, alles hat für einen keine wirklichen Folgen, dass viele meinen sich benehmen zu können, wie sie eben wollen und dabei dann teilweise doch recht offen darin sind, was ihr wirkliches Leben anbelangt. Bei vielen ist der Blick hinter die Maske dann eben doch nur eine Frage der Zeit. Second Life wirkt wie ein Brennglas, und das sowohl bei „erkenne dich selbst“ als auch „erkenne deinen nächsten.“ Je mehr man sich verstellt und anders gibt, umso mehr geben gleichzeitig viele über sich selber preis. Das klingt zwar zuerst paradox, aber das ist es nicht.

Natürlich gibt es auch Mitmenschen, die es nur als Spiel ansehen und Werkzeug, Rollen zu spielen. Männer, die mit Frauenavataren als Escorts Geld verdienen, Frauen, die als Männer endlich mal ungehindert ihre dominante Seite ausprobieren wollen und dergleichen mehr. Für viele ist es auch ein oder das Mittel der Wahl der Ersatzbefriedigung, beispielsweise wenn jemand selber in einer Ehe steckt, devot ist und gerne mal die devote Seite in der Ehe ausleben will, aber der Ehepartner damit absolut nichts anfangen kann. Der Ersatzbefriedigungen gibt es dabei aber auch reichlich, die in Second Life ausgelebt werden können, das darf man nicht unterschätzen.

So gesehen kann man ganz Second Life auch als eine Art Rollenspiel betrachten, das so auf die Spitze getrieben und so betrachtet viel über einem selbst und seine Mitmenschen zu erzählen hat. Denn gerade hinter der Maske verhalten sich viele auf einmal völlig anders als sonst, sei es auf der Suche nach Liebe, Anerkennung, Trost, Drama, was auch immer.

Interessanterweise ist ja Second Life auch über alle Maßen ein Beziehungsreservoir für Beziehungen neben RL-Beziehungen. Sicher kann man da unterschiedlicher Meinung sein, wie es zu werten ist, wenn jemand im wirklichen Leben in einer festen Beziehung steckt und in Second Life dann mit seinem Avatar einen Partner hat, aber meistens entwickeln sich daraus doch überaus vertraute Freundschaftsverhältnisse, die teilweise eben mehr sind als nur eine reine Freundschaft. Manchmal sind sie auch vielmehr der Ausdruck, ja der Wunsch nach Ausbruch aus dem Alltag, aus dem starren Gefüge, dass die eigene Beziehung nicht mehr befriedigend ist – und damit das Eingeständnis der eigenen Angst und Unfähigkeit, sein eigenes Leben auf die Reihe zu bringen und das zu ändern. Es ist also besser als nichts, aber nicht das wirklich wahre, weder Fleisch noch Fisch eben.

Second Life selber wird ja als eine neutrale Plattform zur Verfügung gestellt, und jedem bleibt es selbst überlassen damit und in Second Life das zu tun, was ihm/ihr gefällt. Interessanterweise sieht man dabei auch recht stark, dass eben die eigene kulturelle Prägung, die eigenen Moralvorstellungen und Erziehung nicht so einfach beiseite gelegt werden können, im Gegenteil, bei vielen sind auch diese extrem prägend für das zweite Leben.

Manche aber trauen es sich dann doch noch wirklich, etwas zu riskieren und an der eigenen Unzufriedenheit zu ändern, indem sie ihren SL-Partner irgendwann einmal treffen. Es ist schon mehr als einmal passiert, dass so Beziehungen im wirklichen Leben entstanden sind, oder sich Paare deswegen auch getrennt haben. Second Life ist und bleibt eben auch als Plattform eine große Beziehungsbörse. Das ist zwar nicht das direkte Ziel der Plattform gewesen, aber völlig normal in allen Chats, in denen viele Menschen aktiv sind. Menschen sind nunmal soziale Wesen, die Netzwerke bilden, andere Leute kennenlernen und auch dieses Verhalten findet in Second Life ja sehr ausgeprägt statt.

Da es hinter der Maske oft einfacher ist offener zu sein als ohne Maske, haben diese dann schon recht schnell gute Einblicke in das Wesen ihres Gegenübers. Die Hemmschwelle liegt dann darin, dass man die Maske fallen lässt, das schafft nicht jeder, denn dann steht der Kaiser nackt ohne seine Kleider dar. Manchmal geht das gut, manchmal aber ist das auch teilweise erschreckend. Aber wer nichts wagt, der gewinnt auch nichts im Leben.

Wo jemand sein Jagdrevier für Partnerschaften sieht, bleibt ihm überlassen, in Second Life kann es aber eben auch passieren. Besser ist es natürlich und einfach aber, wenn man im wirklichen Leben sich engagiert und dort Leute aus seiner eigenen Kante trifft.

Aber solange sich an den Regeln von Linden Lab nichts wirkliches ändert – und warum sollten sie es denn auch, Second Life funktioniert so ja prächtig – bleibt es im Großen und Ganzen ein fröhlich-bunter digitaler Maskenball voller unerwarteter Überraschungen, wobei nicht immer sicher ist, ob diese denn nun auch gut sind. Aber bei der Mehrzahl der Avatare überwiegen sicherlich die schönen Erinnerungen, und so wird es auch in Zukunft weiterhin bleiben.

Ein Gedanke zu “Der digitale Maskenball”
  1. Nun der digitale Maskenball unterscheidet sich nicht viel vom realen Maskenball (denn auch da tragen wir Masken) nur das es leichter ist, virtuell die Sau raus zu lassen, als real 😉

    Gefällt mir gut dein Text.

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