Meine sechs Jahre in Second Life
Heute ist es wieder einmal soweit, der unvermeidliche Rezzday ist da und mein sechstes Jahr in Second Life ist voll, das siebte Jahr hat angefangen. Für die Deutschen gehöre ich damit zu denjenigen Dinos, die noch vor dem großen Hype im Frühjahr 2007 anfingen und wegen dem weitestgehenden Fehlen von deutschen Treffpunkten dazu gezwungen waren, agiler zu sein und meistens auf Englisch zu parlieren.
Nun ist es so, dass ich längst nicht der Meinung bin, dass früher alles in Second Life besser gewesen ist, im Gegenteil. Es gab damals vieles noch nicht, was uns heute das Leben schön macht, wie Flexi Prims, Sculpties, Mesh, Voice über Vivox, Windlight und und und… wobei ich auf Voice persönlich gut verzichten könnte, denn ich mag es einfach nicht wirklich haben und ich finde, es hat einen großen Keil zwischen die Leute getrieben, aber es war wohl eben Bedarf da gewesen und abschalten lässt es sich auch nicht mehr.
Ja, aber manches war damals schon besser: es gab einen festen Wartungstermin die Woche, so dass man sich darauf einrichten konnte, dass Linden Lab mal wieder bastelt. Allerdings bastelten sie damals viel länger als heutzutage. Private Sims kosteten damals sagenhafte 195 US$, ich war also dabei, als sie den Preis auf 295 US$ anhoben und so viele Simbesitzer ordentlich verärgerten.
Überhaupt, die Zeiten waren chaotisch und alles nicht so einfach wie heute, aber es gab damals noch eines: einen gewissen Pioniergeist. Für viele gehörte es zum guten Ton, sein eigenes Haus selbst bauen zu wollen und einfach sich mal zu probieren, was man tun könnte. Heute besteht dazu nicht mehr die Notwendigkeit, man kriegt alles sehr günstig und in erstaunlicher Qualität.
Auch war man damals Fremden gegenüber aufgeschlossen und offen, man sah eigenes Land nicht als Last, sondern als Lust an und freute sich, wenn auf der eigenen Sim einen die Nachbarn mal besuchten. Heute dagegen will sich nur noch alles einigeln und wehe, jemand schaut nur rüber. Die unsäglichen Security Orbs gab es aber auch schon damals, sie nervten damals wie heute tierisch.
Was allerdings besser war, das war die Informationspolitik von Seiten Linden Labs. Es gab noch Blogs, die das Wort auch wirklich verdienten, einen Torley Linden, der ein Tutorial nach dem anderen ausspuckte und vor allem waren die Second Life Foren auf secondlife.com noch brauchbar gewesen, da wurde wirklich diskutiert und man konnte sich da gut austoben. Das ist heutzutage alles, alles weg.
Die meisten Pioniere sind längst weiter, entweder haben sie eigene Grids gegründet wie Rezzable oder sind in sonstige Opensim-Grids abgewandert, und der damalige Geist des Aufbruchs, der allerorten herrschte – „Wir sind nicht in einem Spiel, nein wir bauen eine neue, bessere Welt für uns alle!“ – ist inzwischen einer starken Ernüchterung gewichen, dass Second Life niemals das sein wird, was sich damals viele erhofft hatten.
Linden Lab hat sehr viel Vertrauen zerstört, darin waren sie schon immer gut gewesen, aber das Homesteaddesaster in 2008 bleibt nach wie vor unerreicht, ebenso die diversen, viel zu schnellen Postenwechsel der Geschäftsführer – erst ist Rosedale weg, dann kam M Linden, dann wurde der geschaßt und Rosedale übernahm wieder, und dann kam Rod Humble aka Rodvik Linden. Der hat zumindest ein gutes Händchen für die Eigenheiten von Second Life und eine Vision, wo er damit und der Firma noch hin will, zudem jahrzehntelange Erfahrung im Bereich der Computerspieleindustrie. Rod Humble ist eindeutig einer der besseren Geschäftsführer Linden Labs, aber nach wie vor ist er im Putzfrauenmodus und räumt den Dreck auf, den seine Vorgänger ihm hinterlassen haben, und das ist einiges.
Aber auch ein Rod Humble eben kann nicht zaubern, und das sieht man am aktuellen Rückgang der Simulatoren. Wenn das so weitergeht, dann könnte es wirklich sein, dass sich Linden Lab seit langer Zeit dazu genötigt sieht, die monatliche Mietgebühr wirklich zu senken. Viele würden solch einen Schritt ja begrüßen, aber damit wären leider nicht automatisch alle Probleme der Plattform sofort behoben, einige vielleicht, aber es würden auch neue entstehen.
Unter Humble jedenfalls wird langsam auch so etwas wie eine klare Linie deutlich, wohin er mit Second Life noch hin will, aber auch, wohin er mit dem Lab noch hin will – und neue Produkte. Das Entstehen neuer Produkte ist sehr wichtig, denn bisher war Linden Lab eine One Product Company und das ist auf Dauer einfach für die Nische, die man bedient, dann doch ein zu großes Risiko.
Nun ist nicht alles gold, was glänzt aber auch nicht alles schlecht, was braun aussieht – denn Boden ist nunmal braun und zum Pflanzen von Nahrungsmitteln nötig – aber wohin die Reise geht, das können wir bestenfalls erahnen. Momentan sieht nach wie vor alles nach einer starken Schrumpfung aus, was je nach Art der Schrumpfung auch nicht schlecht sein muss.
Es war bis heute ein interessanter Ritt und neben dem, was Linden Lab verwirklicht hat ist auch interessant, was auf dem Müllplatz der Entwicklung landete und niemals kam, wie C# als Skriptsprache, Project Puppeteer und und und… ich bin jedenfalls gespannt, was noch so folgen wird und schaue mit Interesse nun ins siebte Jahr.
Aber ich bin auch gespannt, welche Impulse nun Linden Lab von außen aufnehmen wird, denn mit Cloud Party ist für mich seit langem der erste mögliche, ernstzunehmende Konkurrent zu Second Life aufgetaucht. Sicher, Cloud Party ist noch in der Beta, hat aber den Vorteil dass es im Browser läuft, und vor allem ist die Firma mit fünf Mann noch klein, jung, agil und vor allem eines: extrem hungrig auf Erfolg. Das, was sie innerhalb ihrer kurzen Existenz schon auf die Beine gestellt haben, halte ich für sehr beeindruckend und ich bin gespannt, was aus deren Richtung noch so kommen wird, denn im Gegensatz zum trägen Superöltanker Linden Lab ist Cloud Party ein flottes Rennboot, mit allen Vor- und Nachteilen.