Oktober 14, 2015

Sprache gegen Text

Wer nur ein wenig mit mir in Second Life länger zu tun hat(te), der weiß eines ziemlich sicher, nämlich dass ich einer der großen Sprachverweigerer vor dem Herrn bin. Das liegt etwa nicht daran, dass ich nicht das dafür notwendige Zubehör hätte, im Gegenteil, ich habe auf meinem Schreibtisch stets ein Headset mit eingebautem Mikrofon griffbereit sowie einen einfach zu bedienende Audioweiche.

Es hat vielmehr einfach etwas damit zu tun, dass ich nicht will. Ich will nicht ständig, stetig und überall Sprache (englisch: Voice) nutzen oder gar aufgedrängt nutzen müssen, nur weil viele inzwischen dafür zu faul sind, einigermaßen Texte zu tippen, um sich in Second Life mitzuteilen. Ich will es nicht und ich mache es auch nicht, daher meide ich meistens auch mit Wonnen solche Sims, wo hauptsächlich nur gesprochen wird oder stelle mich einfach auf AFK, damit von mir keiner etwas groß erwartet.

Woher kommt das? Ich persönlich bin noch zu Mailboxzeiten mit IRC groß geworden, in einer Zeit, als es noch kein Skype gab, man von Flatrates nur zu träumen wagte und der geschriebene Text das Maß aller Dinge war, denn es gab einfach nichts anderes. Ich kann gut und schnell tippen, was im Gegensatz zu mir ein Großteil der Mitmenschen auch nicht wirklich gut beherrscht und damit auch kein Problem, genau dies zu tun.

Der zweite Grund ist einfach, dass ich am Rechner ein Multitasker bin: wenn ich in Second Life bin, dann läuft Second Life nur selten alleine, sondern ich schaue mal hier und da in den Browser rein, schreibe noch nebenbei eine Email oder mache andere Sachen. All das geht problemlos dank der Historie, wenn eine Unterhaltung im normalen Chattext stattfindet, da kann ich ohne Bedenken mal woanders rein schauen, schaue kurz wieder in Second Life rein, lese nach und schon bin ich auf dem Laufenden.

Chat bedeutet für mich daher in Second Life eine, wenn auch nur kurze, Asynchronität. Ich bekomme einen gewissen Puffer, in dem ich zu reagieren Zeit habe und kann diesen für mich sinnvoll nutzen, diese Art zu agieren liegt mir und ich mag das so haben und nicht anders.

Wenn ich nun aber auf Voice umsteige, dann verschwindet die Asynchronität fast vollständig, und ich bin viel stärker an Second Life gebunden, muss mich also viel stärker an das laufende Geschehen binden und auf das aktuelle Geschehen konzentrieren. Dazu kommt dann noch, dass im Voice im Grunde auch immer nur einer sprechen kann, während es im Chat jederzeit problemlos möglich ist, sofort loszuschreiben. Ein Chat hat deutlich mehr parallele Züge an der Teilnahme, man kann deutlich mehr gleichzeitig kommunizieren und was einen nicht interessiert, das überliest man einfach, ein Gespräch aber findet fast nur seriell statt und ist daher doch deutlich eingeschränkter.

Abgesehen davon merkt man jeden guten Kopfhörer nach einiger Zeit auf den Ohren, egal wie hochwertig er ist. Weiterhin kommt dazu, dass man eben oft im Voice auch die typischen Nervgestalten hat, die es im Text einfach nicht gibt, wie den

  • Rückkoppler, der grundsätzlich nur über das Mikrofon seiner Webcam spricht und sich alles über seine Lautsprecher anhört und so für nette, tinnitusartige Pfeiftöne sorgt,
  • Zwangsbeschaller, der zwar keine Rückkopplungen verusacht, dafür aber laut und deutlich all seine Hintergrundgeräusche wie Streitereien oder Musik überträgt,
  • Mampfer und Schlucker, der lautstark mampft und gluckert, wenn ihn der Hunger packt und er durstig ist und alle daran teilhaben lässt,
  • Zoffenden: wenn schon Krach mit der Freundin, dann auch so, dass es jeder mitbekommt.

Das habe ich schon oft genug erlebt und muss ich auch wirklich nicht mehr haben.

Ab und an, wenn ich in Stimmung bin, habe ich gegen ein nettes Schwätzchen als normales Gespräch nichts einzuwenden, aber ständig – bitte, das könnt ihr gerne haben, aber dafür bin ich nicht geschaffen, dabei kann ich nicht wirklich abschalten und es nervt mich einfach. Da vergnüge ich mich dann doch lieber anders.