Auswurf: „Work-Life-Balance“ my ass!
In den Medien gibt es momentan ein viel gerittenes Modewort, das mit einer gewissen Wollust gesprochen wird: Work-Life-Balance! Klingt gut, klingt toll und ist dabei ein total alter Hut. Glaubt ihr nicht? Dann schaut euch mal das Plakat hier an, was der DGB in den 50ern brachte:
Ja, Samstags, da gehört der Vati mir! Das war eine Kampagne, die der DGB in den 50ern gegen den Umstand erfolgreich fuhr, dass für viele Arbeiter in den 50ern der Samstag noch ein ganz normaler Arbeitstag war. Wenigstens einen Tag neben dem Sonntag aber sollte der Vater mal völlig alleine dem Sohnemann gehören und nicht bis in die Puppen malochen müssen. 1950 betrug die durchschnittliche Arbeitszeit die Woche noch 48 Stunden, und da kann sich jeder ausrechnen, was das denn so für eine Familie bedeutet hat. 1956 erfolgte dann allmählich der Übergang zur 40-Stundenwoche.
Also war dieses ominöse „Work-Life-Balance“, das heute viele wie eine Art Gral vor sich hertragen, ein Thema, nämlich dass die Arbeitszeit im Vergleich zum Privatleben in einer gesunden Balance stehen muss. Für Selbständige natürlich ein Wunschtraum, aber für Angestellte, Beamte und Arbeiter ist das was anderes.
Nur, dass so ein eigentlich alter Hut, der dann auch Forderungen enthalten könnte wie früher von dem DGB die geforderte 35-Stundenwoche, wieder aktuell wird zeigt doch nur, dass da in unserer heutigen Gesellschaft deutlich etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Es ist aus dem Gleichgewicht geraten, und viele sagen nun erstaunt „Ah!“ und „Oh!“, wenn denn da mit diesem Buzzword gewunken wird, dabei ist das ein uralter Hut, der nun wieder aktuell geworden ist.
Vielen Familien reicht ein dauerhaftes Einkommen heutzutage zum Bestreiten des Lebensunterhaltes nicht mehr aus. In vielen Familien müssen daher dauerhaft beide Elternteile arbeiten, um über die Runden zu kommen, nicht, weil sie daran Spaß haben, sondern weil sie es tun müssen. Dann kommt der Staat daher und schafft nun seit einigen Jahren Kindertagesstätten, um diese Familien und auch Alleinerziehende zu unterstützen. Im Prinzip eine sinnvolle Sache. Nur dank der CSU, die sich nicht den modernen Gegebenheiten anpassen will, sondern immer noch das alte und meist von der Realität überholte Familienbild im Kopf hat, gibt es dann auf einmal das Betreuungsgeld. Das bedeutet nichts anderes als: erziehst du deine Kinder zuhause, dann kriegst du Geld von uns. Tust du das aber nicht, dann eben nicht.
Und damit bekommen ohnehin die Leute, die es sich finanziell leisten können zuhause ihre Kinder zu erziehen (was übrigens ja generell für alle Familien wünschenswert wäre), dafür noch Geld in den Arsch geschoben, aber diejenigen, die das eben nicht können, die bekommen gar nichts. So etwas ist die gezielte, staatliche Förderung von sozialen Disparitäten; anstelle diese abzubauen, werden sie noch vergrößert. Das sollte und kann eigentlich nicht der Sinn einer gescheiten Familienpolitik sein, ist aber in diesem Lande bittere Realität.
Ja und zum Thema Work-Life-Balance: wieso ist das nun auf einmal wieder so aktuell geworden? Ganz einfach deshalb, weil das Regularium, welches früher dafür sorgte, dass diese zumindest ansatzweise existiert – die Gewerkschaften nämlich – inzwischen recht bedeutungslos und zu zahm geworden sind. Wer für seine Anliegen und Rechte aber keinen Druck macht, der wird irgendwann ausgenommen und so ist das eben.
Dazu kommt auch, dass die typische Ausgabenverteilung eines Privathaushaltes in den letzten Jahren sich deutlich verschoben hat: alles ist teurer geworden. Früher war grob gesagt 1/3 der Ausgaben für Wohnen, 1/3 für Mobilität und 1/3 für Nahrungsmittel und Konsum.
Das hat sich aber stark verschoben, in vielen Haushalten wird inzwischen bis zu 50% alleine fürs Wohnen ausgegeben, Mobilität auch nicht wirklich weniger und dann spart man an Nahrungsmitteln&Konsum, dazu kommt noch, man möge sich dafür bitte noch etwas fürs Alter zurücklegen, private Zusatzversicherungen abschließen und keine Ahnung was sonst noch. Dass das nicht gut gehen kann, dürfte dem letzten Volltrottel einleuchten.
Dazu kommt auch weiter, dass eben die Reallöhne in Deutschland seit mindestens einem Jahrzehnt gesunken sind, während sie im Rest der EU gestiegen sind. Auch das macht sich natürlich in der Situation der privaten Haushalte bemerkbar. Und da auch die guten Arbeitsstellen nicht beliebig auf Bäumen wachsen, müssen eben sehr viele auf einmal deutlich mehr arbeiten, um denselben Lebensstandard wie vor einigen Jahren noch halten zu können oder aber sie ziehen die Folgen und schränken diesen ein. Nur wer ein Haus auf dem Lande hat, der braucht ein Automobil. Der ist da gefangen. Vielleicht aber dann eben eines, das mit Erdgas fährt.
Oder manche sagen sich dann einfach: ich verdiene ohnehin weniger als der potentielle Mindestlohn, und wenn ich dann alle Kosten zum Leben davon abziehe, die ich so benötige, bleiben mir unter dem Strich monatlich vielleicht netto 100-150 Euro zur freien Verfügung. Dafür maloche ich dann aber wöchentlich 50 Stunden, und wenn ich nichts tue und ALG-II beantrage, ja dann sieht auf einmal der maximale Regelsatz sogar recht freundlich aus.
So oder so, um es abzuschließen, ist dieses Mediengewese um die „Work-Life-Balance“, die im Grunde ein alter Hut ist nur ein deutliches Warnsignal dafür, dass sie in dieser Gesellschaft massiv aus dem Ruder gelaufen ist und sich da mal langsam etwas tun muss. Und nicht nur da.