Glanz und Elend der Wikipedia oder: Der König ist tot, lang lebe der König!

Mir schwirren gerade diese Gedanken im Kopfe herum, nachdem ich ja schon über den Schwachsinn von Blogs als Forenkillern schrieb. Bei demokratisch und pseudodemokratisch legitmierten Systemen ist es früher oder später häufig der Fall, dass sich eine Art innerer Zirkel der Macht bildet, der oft abgehoben über allem schwebt und – obwohl vielleicht nur mit den besten Absichten bewaffnet – genau dafür sorgt, dass der Karren gehörig gegen die Wand fährt. Das Paradebeispiel dafür nach wie vor ist und bleibt vor allem die deutschsprachige Wikipedia.

In der Wikipedia sind alle gleich, aber manche sind gleicher was häufig für gehörigen Frust bei Autoren sorgt. Eine Elite von etwa 500 gewählten Administratoren sorgt theoretisch dafür, dass die Wikipedia funktioniert, in der Praxis aber häufig leben sie reinsten Bürokratismus aus. So passiert es häufig, dass ein neuer Autor stolz stundenlang einen Artikel über etwas für ihn wichtiges schreibt, und das erste, was man kassiert ist ein – na, was wohl? Richtig! – Löschantrag wegen Irrelevanz.

Dabei sind die Leute, die dann häufig routiniert solche Anträge stellen, nicht mal die Spezialisten in der Sache an sich, aber es geht ihnen ums Prinzip. Die Wikipedia spaltet sich in zwei große Lager, die Inklusionisten und Exklusionisten. Während die Exklusionisten der Meinung sind, so ziemlich alle relevanten Themen seien schon zur Gänze abgehandelt, man solle sich mehr um die Qualitätskontrolle bemühen und kaum noch wirklich neue Artikel schreiben (ähnlich sinnvoll wie die großen Physiker in den 1890er Jahren, die meinten, man habe inzwischen alles in der Physik erforscht, und dann kam Einstein mit der Relavitätstheorie sowie die Quantenmechanik auf) , gibt es die Inklusionisten die der Meinung sind, Speicherplatz ist billig und wenn man schon sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Weltwissen insgesamt sammeln zu wollen, dann müsse die Wikipedia nur so vor Artikeln strotzen. Das sind die beiden Extreme, zwischen denen die Wikipedia hin und her pendelt, und in diesem Spannungsfeld, ja fast kann man sagen Schlachtfeld befinden sich die normalen Autoren, die nur eines wollen: einen Artikel schreiben oder möglicherweise korrigieren.

Nun ist die deutschsprachige Ausgabe der Wikipedia die zweitgrößte weltweit, nur die englische hat noch mehr Artikel. In der englischen Ausgabe sieht man, wie ein überwiegend inklusionistischer Ansatz funktionieren mag, während die deutsche Ausgabe vom Club der oft abgehobenen Administratoren, Löschungskreuzzüglern und den berühmt-berüchtigten Relevanzkriterien sich zu Tode reguliert. Wer täglich gerne großes Popcornkino genießen will, der sollte sich die tagesaktuellen Löschanträge reinziehen, da ist oft Spaß garantiert.

Fakt ist aber auch, dass die Wikipedia ein Erfolgsmodell und eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen ist. Sie hat es geschafft, die traditionellen Nachschlagewerke wie Brockhaus und dergleichen als neuer König des Weltwissens zu beerben, aber daraus entsteht auch natürlich neue Verantwortung, derer sie bis heute nicht gerecht wird. Das gesamte Projekt befindet sich nach wie vor in einer Orientierungs- und Konsolidierungsphase.

Die hauptsächlichen Kritikpunkte an der Wikipedia sind dabei weder neu noch unbekannt, die meisten gefrusteten Autoren aber vollziehen für sich die Konsequenz still und leise – und gehen lautlos. Damit gehen der Wikipedia die regelmäßigen Autoren aus, übrigens nicht nur der deutschsprachigen. Der bürokratische Bodensatz und Amtsschimmel macht es sich derweil auf seinen selbst verliehenen Pöstchen bequem und schaltet und waltet dabei weiterhin nach eigenem Gutdünken. Schlimmer noch, häufig ist man stolz auf seine fragwürdigen Leistungen, verleiht sich gegenseitig selbst gebastelte Ehrentitel und Orden für die Leistungen an der bösen Löschfront und fühlt sich furchtbar wichtig. Zu dumm nur, dass diese mit sehr viel Selbstbeweihräucherung und selbst gebastelten Lametta behangenen Krieger der Wikipedia nicht einfach irgendwann dank der Schwerkraft nach vorne umkippen und so mal mächtig auf die Schnauze fallen.

Neu war allerdings für die Wikipedianer, dass sich Ende 2009 die geballte Wut der Netzgemeinde auf einmal massiv entlud und es ein Zornesgewitter gab, das über sie prasselte, welches sich gewaschen hatte. Leute wie fefe (Felix von Leitner), der mit seinem Blog genügend Reichweite hat, berichteten täglich über die absurd bis surreal anmutenden Zustände in der Wikipedia, es war eines der Leitmedien, das die bei vielen inzwischen gegangenen Autoren angestaute Wut sammelte und zielgerichtet durchs globale Dorf getrieben. Die Wikipedianer wussten gar nicht mehr, wie ihnen geschah, sie hatten ja nach wie vor die besten Absichten, und und und… es entstanden damals eine Vielzahl an Ideen, wie man die Problem beheben könnte. Eine simple war zum Beispiel die Einrichtung einer Müllopedia gewesen als offizielle Schwester der Wikipedia, in der alle gelöschten Artikel archiviert werden. Während das inzwischen Dritte mehrfach aufgebaut haben, fehlt so etwas offiziell bis heute, schade.

Ein Jahr nun nach der großen Diskussion um die Wikipedia kann man mit Fug und Recht sagen: es hat sich nicht viel geändert. Das alte System funktioniert so, wie gehabt, nach wie vor laufen die Autoren in Scharen weg und keiner will es gewesen sein, und die Leute, die in der Wikipedia am meisten zu sagen hätten haben in Wirklichkeit gar nichts zu sagen, weil das System so gestrickt ist, dass ihre Stimme nicht wirklich Gewicht hat noch überhaupt gehört wird. Nach wie vor bestimmt eine Elite darüber, was relevant und irrelevant ist und solange das bleibt, solange wird die Wikipedia auch weiterhin ungeheuer viel Fachwissen verlieren. Es gibt konkurrierende Ansätze wie Citizendium, die aber längst nicht diese Wucht entwickelt haben, und solange wird die Wikipedia der King of the Hill without a clue sein, man bestimmt zwar das Geschehen aber hat keine Ahnung, wohin man will. Das wird sie noch solange sein, bis etwas anderes kommt, das sie ablöst – das kann im Internet möglicherweise sehr schnell oder nie geschehen – oder sie selbst dank des teutonisch akkuraten Bürokratismus für die Mehrheit wegen zu großer Lücken einfach irrelevant geworden ist.

Fefe sieht das übrigens inzwischen auch pragmatisch, er ist der Meinung lass die sich bekriegen, bis kein Schwein mehr übrig ist, beobachten wir den Niedergang lieber aus der Ferne und dann erst kann man anfangen, etwas wirklich Neues, besseres aufzubauen. Die geballte Inkompetenz verbunden mit der dahergehenden Merktbefreitheit und den Faktoren, die das System in der Form nach wie vor stützen sind einfach zu übermächtig.

Und was kann man daraus lernen? Einfach: nicht immer ist das, was eine Community will das, was die selbsternannte Elite will, die die Geschicke lenkt. Oft versteht sie ab einem gewissen Zeitpunkt selbst bei bestem Willen nicht mehr wirklich die Sorgen, Nöte und Wünsche der Community, und diese geht meistens den Weg des geringsten Widerstandes: sie verschwindet, bis nur noch schlimmstenfalls eine Leiche übrig bleibt. So geschieht das gerade bei der Wikipedia, dasselbe Muster lässt sich auf viele Foren übertragen, und und und…