Ein klassisches Bodenpreismodell und warum es auf Second Life nicht übertragbar ist

„Land“ ist in Second Life das zentrale Thema und nach wie vor die Haupteinnahmequelle für die Betreiberfirma Linden Lab. Nun ist Land und der damit zusammenhängende Immobilienmarkt auch im wirklichen Leben ein stark verbreitetes und gut untersuchtes Thema, aber lassen sich eigentlich die damit bekannten, wissenschaftlichen Erkenntnisse ohne weiteres auf Second Life übertragen? Dem will ich hier ein wenig in diesem Beitrag dazu nachgehen.

Was ist Land, genauer ein Grundstück?

Land ist im wahren Leben eine endliche Ressource. Unter einem Grundstück versteht man dabei ein durch seine Lage und Größe eindeutig identifizierbares Areal auf der Erdoberfläche mit einem oder mehreren Eigentümern. Land ist auch in Second Life scheinbar eine endliche Ressource, die Parzellen sind dabei durch Lage und Größe auch eindeutig identifizierbar, aber wo sind die Unterschiede?

Nun, das fängt damit an, dass Land im wahren Leben endlich ist; in Second Life dagegen ist es nahezu beliebig vermehrbar. Land in Second Life ist nichts anderes als das Mieten eines gewissen Anteils an Rechenzeit eines Servers. Dies ist einer der gravierenden Unterschiede, im wirklichen Leben ist es eine begrenzte Ressource, um deren Nutzung verschiedene Nutzungstypen buhlen, während es in Second Life dabei deutlich entspannter zugeht.

Früher lagen die einzelnen Bereiche des täglichen Lebens wie Wohnen und Arbeiten sehr nahe zusammen, teilweise sogar im selben Haus, heute dagegen in unserer modernen Gesellschaft sind diese typischerweise oft stark räumlich voneinander getrennt.

Die Daseinsgrundfunktionen

Zunächst einmal aber: wozu brauche ich im wahren Leben Land und wo siedelt sich wer an? Land braucht man im wirklichen Leben sehr viel, es gibt dabei in der Sozialgeographie den Begriff der sog. Daseinsgrundfunktionen, als da wären (die Modelle unterscheiden sich teilweise): Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Ver- und Entsorgen, Bildung, Verkehr, sich Fortpflanzen.

All diese Daseinsgrundfunktionen sind dabei bestrebt, den für sie jeweils passenden, optimalen Standort im Raum zu finden. Die Frage ist dabei nun als nächstes, was ist der optimale Standort für welche Daseinsgrundfunktion und durch welche Faktoren wird er bestimmt, denn es können sich ja schlecht alle DGFs räumlich am selben Ort ansiedeln.

Zwei starke Lenkungsfaktoren, die die jeweils optimalen Standorte dabei bestimmen, sind die Zentralität des jeweiligen Ortes im Raum und die damit verbundenen Transportkosten zur Erreichung dieses Ortes. Beide Faktoren zusammen sind, neben anderen wie z.B. noch zur Verfügung stehende, freie Flächen, im wahren Leben stark bestimmend für die jeweiligen Bodenpreise je Quadratmeter.

All dies führt zu einem der klassischen Erklärungsmodelle für die Diversifizierung der DGFs in der Fläche, nämlich der Landnutzungstheorie von William Alonso.

Die Landnutzungstheorie von William Alonso

Alonso veröffentlichte 1960 seine Theorien zur Standort- und Landnutzung für städtische Unternehmen, näheres kann man hier dazu nachlesen, Abbildung 7 ist wichtig.

Alonso geht dabei von einem Ort maximaler Erreichbarkeit in einer Stadt aus, typischerweise ist das in deutschen Städten der Marktplatz. An diesem Ort sind Unternehmen für die Kunden am Einfachsten zu erreichen, er geht dabei von einer Bodenpreisverteilung P(t) aus, die am zentralen Ort am höchsten ist und nach außen hin gehend sinkt. Deutlich gesprochen heißt das nichts anderes, je weiter man sich vom Stadtkern ins Umland entfernt, desto günstiger werden die Preise. Umgekehrt sind aber die Transportkosten am zentralen Ort am niedrigsten, und je weiter man sich nach außen bewegt, umso höher werden diese.

Das sind also zwei gegenläufige Entwicklungen in diesem Modell, und das ist wichtig: billigere Bodenpreise erkauft man sich mit höheren Transportkosten und damit natürlich auch Zeitaufwand. Umgekehrt bedeutet es, dass man zunehmende Zentralität mit steigenden Bodenpreisen erkauft.

Weiterhin geht Alonso davon aus, dass der gesamte Boden auf dem freien Markt verfügbar ist und Verkaufsvolumen und Bruttoeinnahmen steigen, je näher ein Unternehmen am Zentrum ist. Oder salopp gesagt: die Unternehmen und Bürger, die sich die Mieten/Preise in der Innenstadt leisten können, haben natürlich auch mehr Geld in der Tasche als der Normalbürger. Zentralität kostet mitunter sehr viel Geld und nicht jeder Betrieb muss wirklich zentral erreichbar sein. Ein Bauernhof zum Beispiel mit Schweinemast braucht sehr viel Fläche und macht daher in der Innenstadt so keinen Sinn.

Folgen aus Alonsos Modell im wahren Leben

Aus Alonsos Modell heraus folgt eine funktionale Gliederung des Siedlungsraumes. Alonso geht dabei vom wirtschaftlich handelnden Menschen aus. Ein wirtschaftlich denkender Mensch, der eigene Grundstücke besitzt, wird dabei immer darauf achten, dass er mit seinem Grundstück die maximalst mögliche Rendite erwirtschaftet, aber zumindest nicht weniger als bei einer gleichwertigen Geldeinlage auf der Bank der Zinssatz fürs Sparen beträgt. Ist die Rendite zu niedrig, dann wird der Homo Öconomicus seine bisherige Nutzungsweise überdenken und entsprechend handeln.

Land ist nicht beliebig vermehrbar, und alle DGFs konkurrieren also um Land. Das führt, wie schon gesagt, zu einer funktionalen Gliederung der Städte und diese lässt sich nach Alonso auch gut erklären: Wohnen findet mehr in den äußeren Stadtteilen statt, in der Innenstadt gibt es hochwertigeren Einzelhandel und je nach Stadt wohnen da viele Studenten. Familien mit Kindern, die lieber gerne ein wenig Garten und Platz um sich herum haben, werden in die billigeren Außenbezirke der Stadt ziehen und die längeren Anfahrtswege in Kauf nehmen, um schöner zu leben, und die Industrie mit ihrem großen Flächenbedarf zieht es mitunter auch hinaus aus den innenstädtischen Bereichen, wo der Boden recht teuer ist, auf die grüne Wiese, wo man schön billig schön viel bauen kann.

Man spricht dabei von einem gewissen Nutzungsdruck, der je nach Standort besteht Wichtig dabei ist, dass solch ein Modell auch nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist. Steigen auf einmal die Transportkosten stark an, dann können innerstädtischer gelegene Bereiche auf einmal wieder für gewisse DGFs wie Wohnen stärker gefragt sein. Eine mögliche Folge wäre irgendwann das Ende der Suburbanisierung unter Eintritt einer Reurbanisierung der alten Siedlungsräume.

Weiterhin zu beachten ist auch, dass man grundsätzlich bei normalen Menschen von zwei unterschiedlichen Handlungsarchetypen ausgeht: den Achievern und den Satisficern. Der Achiever will dabei einen gewissen Standard unter ökonomischen Aspekten erreichen, sprich zum Beispiel ein Haus mit Garage, aber das kann dann ruhig auch irgendwo außerhalb liegen, wo er es sich leisten kann. Der Satisficer dagegen will unbedingt innerhalb eines gewissen Standorts sein Bedürfnis nach zum Beispiel einem Wohnzimmer mit 40 Quadratmetern befriedigt sehen, der Preis spielt dabei nur dann eine nebensächliche Rolle.

Alonsos Theorien und Second Life

Auch wenn dies nur ein einfaches Modell ist und es noch ausgefeiltere gibt, ist doch die Frage, ob man dies auf Second Life übertragen kann, um die dortige Landnutzung, Diversifizierung der Flächen sowie Preisbildung bei Grundstücken zu erklären.

Die Antwort ist schlicht und einfach: nein, das ist nicht möglich.

Die Gründe: Land in Second Life ist ubiquitär und beliebig vermehrbar, während es im wirklichen Leben eine begrenzte Ressource ist. Es gibt im wirklichen Leben eine Vielzahl an Landbesitzern, während in SL es alles aus derselben Quelle – nämlich Linden Lab – kommt. Im wirklichen Leben gibt es eine starke Differenzierung der Fläche je nach Daseinsgrundfunktionen, Standortfaktoren und Bodenpreisen, in Second Life findet das kaum statt. Die Bodenpreise im wirklichen Leben unterliegen einer enormen Bandbreite, in Second Life dagegen kaum, da das Hauptverkaufsargument für Land ein möglichst billiger Preis ist. Im wirklichen Leben gibt es je nach Standort einen starken Nutzungsdruck, in SL ist der kaum vorhanden. Dazu kommt letzten Endes auch noch, dass alles „Land“ in Second Life verschwindet, sollte einmal Linden Lab seine Dienste einstellen, es ist also eine virtuelle Ware, eine Dienstleistung, die ständig erneuert werden muss, während Land im wirklichen Leben eine greif- und begreifbare Angelegenheit darstellt.

Dazu kommen noch weitere Sachen wie das Avatarlimit pro Simulator, während man im wirklichen Leben auf einem Grundstück von 1 ha Größe ohne Probleme 200 Menschen und mehr unterbringen kann, und und und… daher ist Land in Second Life nur eine Metapher, ein Bild, das dem wirklichen Land nicht gleich kommen kann.