Ist TrueCrypt unsicher?

Momentan hat die freie Softwareszene ein gewaltiges Beben erschüttert, und keiner weiß so recht, woran man wirklich ist. Einige kennen vielleicht das freie Verschlüsselungsprogramm TrueCrypt: man kann damit Dateien oder komplette Festplatten verschlüsseln, es läuft unter Windows, Mac OS X und Linux gleichermaßen gut und vor allem auch so, dass man es portabel installieren kann sowie es einfachst zu bedienen ist. Viele Menschen benutzen es weltweit, um sensible Daten zu schützen, wie zum Beispiel der Sicherheitsexperte Bruce Schneier (genauer: er nutzte es) oder Edward Snowden.

TrueCrypt wurde dabei von einem Team an Entwicklern verfasst, deren Identität weitgehend unbekannt ist und sich nur selten in der Öffentlichkeit oder per Email zu irgendetwas äußern. Es ist seit über 10 Jahren bereits verfügbar und sein Quellcode offen verfügbar. TrueCrypt stand bisher im Ruf, weitgehend vertrauenswürdig und sicher zu sein, auch ist gerade momentan eine kommerzielle Sicherheitsprüfung des Quellcodes auf Schwachstellen und mögliche Hintertüren im vollen Gange, die bisher nichts schlimmes zu Tage förderte.

Also ist alles gut im TrueCrypt-Land, so sollte man meinen, aber weit gefehlt: seit ca. zwei Tagen hat sich die Webseite von TrueCrypt dramatisch verändert. Dort, wo bisher eine recht gut gemachte Webpräsenz unter www.truecrypt.org erreichbar war, findet sich nur noch eine im Vergleich dazu recht lieblos und schludrig dahingestellte Warnung, man solle die Software nicht mehr benutzen, da sie nicht mehr sicher sei. Warum TrueCrypt auf einmal unsicher geworden sei, darüber schweigt sich die neue Seite einfach aus.

Als Grund für die Einstellung der Software wird dabei das offizielle Supportende von Windows XP angegeben. Auch die Empfehlungen, welche Software man anstelle von TrueCrypt benutzen sollten, wirken komisch, denn unter Windows wird BitLocker empfohlen, das vermutlich eine serienmäßige Hintertür für die NSA eingebaut haben dürfte, für Mac OS X FileVault und unter Linux solle man einfach installieren, was man installieren wolle. A-ha. Und es gibt eine neue Version der Software zum Download namens 7.2, die aber nur noch das Entschlüsseln ermöglicht und nicht mehr verschlüsselt.

Alles in allem wirkt es auf den ersten Blick sehr sonderbar und so, als wäre da ein Hacker unterwegs gewesen. Der Fakt allerdings, dass die neuen Downloadpakete mit dem digitalen Schlüssel des Entwicklerteams signiert worden sind, machen das dann doch recht unwahrscheinlich. Solch ein Hacker hätte nämlich erst die Identität der Entwickler herausfinden müssen, sich dann noch den Schlüssel besorgen müssen plus das Passwort, mit dem man diesen benutzen kann. Es ist zwar möglich, aber extrem unwahrscheinlich.

Also ist es wahrscheinlicher, dass die Seite selber nicht gehackt ist, sondern echt vom Entwicklerteam so verändert wurde und sie nun keine Lust mehr haben, TrueCrypt weiter zu entwickeln. Die Frage, die man sich dabei stellen muss, ist aber: warum auf einmal das und warum auf einmal so, dass sie alles daran setzen, das bisherige Vertrauen in ihr Produkt nachhaltig zu zerstören?

Auch da gibt es wieder mindestens vier Möglichkeiten, nämlich:

  1. es gab einen Streit im Entwicklerteam und einer der Entwickler, der den Schlüssel hat, wählte diesen Weg als Rache, während der Rest weiter machen will,
  2. die Entwickler sahen sich möglicher, staatlicher Repression ausgesetzt und wurden gezwungen, die Entwicklung einzustellen, dürfen aber darüber nichts sagen (die National Security Letters in den USA kommen da einem in den Sinn und wie mit der Fa. Lavabit verfahren wurde),
  3. oder aber die Entwickler hatten wirklich einfach nur keine Lust mehr und fertig,
  4. TrueCrypt war in Wirklichkeit das Projekt irgendeines Geheimdienstes, niemals sicher und so zogen sie nun den Stecker.

Gegen 4 spricht, dass der Quellcode offen verfügbar ist und bisher im Audit nichts wesentliches gefunden wurde, was aber nicht heißt, dass man noch nichts finden wird. Auch untersucht das Audit ja den Quellcode, aber nicht die Downloadpakete, in denen könnte man ja noch Backdoors eingearbeitet haben. Außerdem würde gerade ein Geheimdienst ja wollen, dass man sein Produkt einsetzt und ein solch weit benutzes Ding wie TrueCrypt wohl kaum mit solch einer Aktion es beenden, denn das wäre ja gegen seine Interessen. Allerdings gelang es neulich jemandem, aus dem Quellcode dasselbe Paket zu bauen wie es zum Download in der Version 7.1a unter Windows zur Verfügung stand, also ist auch das eher unwahrscheinlich.

Gegen 3 sprechen die komischen Empfehlungen, die die Entwickler geben. Wenn jemandem wirklich Sicherheit so wichtig ist, dann wird der nicht auf einmal BitLocker oder FileVault einsetzen noch es empfehlen.

Also bleibt 1 oder 2. Beides ist möglich, und wenn es 2 sein sollte, dann werden wir es so schnell wohl nicht erfahren. Dazu kommt ja, dass keiner weiß, aus welchem Land die Entwickler eigentlich stammen und welchen Gefahren sie sich da möglicherweise ausgesetzt sähen.

Persönlich halte ich Möglichkeit 2 für wahrscheinlicher, denn wenn es 1 wäre, also der interne Streit, dann hätte sich nach über drei Tagen inzwischen sicher mindestens ein weiterer Entwickler vom Team dazu irgendwie geäußert oder gar die alte Seite wieder hergestellt. Was es letzten Endes aber wirklich ist, das muss die Zeit erst noch zeigen, es weiß eben keiner. Übrigens hat sich bei Twitter auch was getan, nämlich bei Steven Barnhart hat sich per Email ein Entwickler des Teams namens „David“ gemeldet, der die Einstellung des Produktes einfach damit begründe, dass man keine Lust mehr habe und nein, es stünde keine staatliche Repression dahinter. Ob man dem nun trauen schenken kann oder nicht, auch das ist wieder ungewiß.

Überhaupt zeigt all diese Heimlichtuerei um die Entwickler ein großes Grundproblem von TrueCrypt: warum bitte haben wir die ganze Zeit lang einem Team von Entwicklern in dieser sensiblen Angelegenheit vertraut, das keiner kennt und die ihre Identität systematisch verheimlichen?

Bruce Schneier jedenfalls ist erst einmal wieder auf PGP Disk umgestiegen, wie es scheint. Die Version 7.2 der Software sollte man besser mit Vorsicht beäugen, d.h. gar nicht benutzen, solange keiner das Programmpaket auf mögliche Hintertüren durchsucht hat. Es gibt bereits Bestrebungen, wie beispielsweise unter www.truecrypt.ch, die Software als Fork weiter zu entwickeln. Eines steht dabei schon fest: TrueCrypt wird sie dann nicht mehr heißen können, weil das ein eingetragenes Warenzeichen ist.

So oder so, es ist alles nur sehr merkwürdig, viel im Dunkeln und was das alles genau soll, kann bis auf die Entwickler vielleicht keiner so recht sagen. Es bleibt also viel Raum für Spekulationen aller Art übrig.

Als Lehre aus dem Desaster sollte man, so finde ich, bei einem so wichtigen Stück Software einem anonymen Entwicklerteam, das keiner wirklich kennt, nicht mehr vertrauen. Gerade bei solchen Programmen ist es wichtig, dass man auch weiß, wer dahinter steht (und Satoshi Nakamoto von Bitcoin kennt bisher auch keiner).